Sucht mal anders gesehen

Sucht mal anders gesehen

Das Problem ist nicht das Suchtverhalten

Wichtig ist, die Ursachen der Sucht zu erkennen und zu beheben

 

Vielleicht kennen Sie das von sich: Es ist keine Essenszeit. Und Sie haben trotzdem das starke Bedürfnis, jetzt ihren Kühlschrank leer zu essen – oder Unmengen von Schokolade zu verzehren. Meist zu den unmöglichsten Zeiten. Es ist ihnen unangenehm und peinlich und Sie sind froh, wenn Sie niemand dabei beobachtet. Danach ist Ihre innere Unruhe vorbei, aber ein schlechtes Gewissen macht sich breit. Sie bereuen Ihre Essattacke und schwören sich, damit auf zu hören. Auf Grund Ihres leichten bis schwereren Übergewichtes haben Sie schon einige Diäten und andere Aktionen zum Abnehmen hinter sich. Doch bisher hat nichts auf Dauer geholfen.

So geht es vielen Menschen. Solch süchtiges Verhalten beschränkt sich nicht nur auf Essen. Alkohol, Tabletten, Tabak, Glücksspiel, Arbeit, Einkaufen – alles kann zur Sucht werden.

Die meisten erfolglosen Versuche, am Problem etwas zu verändern, basieren auf Verhaltensänderungen. Mit viel Willensanstrengung wird das Bedürfnis nach dem Suchtmittel oder dem süchtigen Verhalten eine Zeit lang unterdrückt.

 

Suchtmittel und Suchtverhalten wirkt wie ein Schmerzmittel

Der Griff zum Suchtmittel wirkt wie ein Schmerz- oder Beruhigungsmittel. Wenn Sie Zahnschmerzen haben, dann nehmen Sie ein Schmerzmittel. Aber gleichzeitig wissen Sie, dass Sie der Ursache des Schmerzes auf den Grund gehen müssen, sonst kann es schwerwiegende Folgen haben. Bei Zahnschmerz gehen Sie zum Zahnarzt und danach brauchen Sie das Schmerzmittel nicht mehr. Sie haben kein Bedürfnis mehr danach.

Suchtmittel wirken wie Schmerzmittel auf der emotionalen und psychischen Ebene. Sie schaffen Erleichterung bei unangenehmen Gefühlen und bei Stress. Alkohol setzt noch zusätzlich die Hemmschwelle herunter, so dass man das Gefühl hat, Dinge leichter tun zu können. Der Konsum von Suchtmitteln scheint erst mal Abhilfe für das Problem zu schaffen. Allerdings hat man damit noch nicht die Ursache des Problems beseitigt.

 

Hier zwei mögliche Verläufe von Suchtentwicklung und Lösungswegen am Beispiel Essen und Alkohol trinken. Es könnte aber auch jede andere Sucht sein.

 

Beispiel eines gestörten Essverhaltens:

 

Ich hatte einen stressigen Tag

Am Abend bin ich ausgelaugt

Essen ist einfach schön, darauf freue ich mich

So vergrößert sich das Problem

Hier beginnt die Lösung

Mir gefällt mein ganzer Stress nicht, aber so ist das heutzutage, das geht den meisten Leuten so. Da kann man nicht viel machen, irgendwann wird es schon wieder leichter werden. Hoffentlich habe ich bald Urlaub

Mir gefällt mein ganzer Stress nicht. Ich weiß zwar nicht, was ich noch ändern kann, aber ich muss was unternehmen. Alles, was ich bisher unternommen habe, hat nichts geholfen. Zeitmanagement bringt auch nichts. Ich muss die Sache grundlegend angehen

Essen hilft mir immer wieder, um in ein gutes Gefühl zu kommen. Ich freue mich immer aufs Essen.

Ich suche so lange, bis ich einen Coach/Berater habe, dem ich vertraue und der mir neue Sichtweisen gibt.

Diäten finde ich teilweise gut, auf Dauer hat mir aber noch keine geholfen. Dauernder Verzicht auf die guten Dinge ist anstrengend.

Die Dinge, die ich bisher gegen meinen Stress getan habe, haben mir auch nicht geholfen.

Es dauert ein wenig, bis ich an der Wurzel meiner Themen bin, teilweise scheinen es Kleinigkeiten zu sein, doch insgesamt bin ich überrascht, welche Zusammenhänge ich erkenne und wo ich den Hebel bei mir ansetzen kann. Manches ist einfach, manches erfordert Mut.

Teilweise habe ich richtige Fressattacken. Das ist mir peinlich. Ich kann nichts dagegen tun.

Obwohl ich mich nicht mit dem Thema Essen beschäftigt habe, veränderte sich im Laufe der Zeit mein Essverhalten von allein. Ich fühle mich wieder viel wohler.

Solange Sie Ihren Stress mit Essen kompensieren, wird jeder Verzicht für Sie mit Anstrengung verbunden sein. Erst wenn Sie sich bewusst mit allen Komponenten Ihres Stresses auseinander setzen und  eine für Sie passende Lösung oder gesunde Ausgleichsmöglichkeiten finden, erst dann wird Essen kein Problemfeld mehr sein.

 

Ein anderes Beispiel zum Thema Alkohol könnte so aussehen:

 

ich habe Angst vor öffentlichem Auftritt

Ich konsumiere vorher Alkohol

Erleichterung und mehr Lockerheit setzen ein

So vergrößert sich das Problem

Hier beginnt die Lösung

Ich freue mich, dass ich eine schnelle Lösung für mein Problem habe und setze diese Lösungsstrategie weiter ein

Der Alkohol hilft zwar, aber ich gehe meiner Angst auf den Grund und unternehme die entsprechenden Schritte, um meine Ängste zu lösen. Das dauert einige Zeit und ist teilweise anstrengend, aber ich schaffe es.

Alkohol hilft mir auch in anderen problematischen Situationen. Ich fühle mich nicht abhängig, weil ich nicht täglich trinke und oft auch gut auf Alkohol verzichten kann.

Ich kann inzwischen ohne Alkohol eine kraftvolle Rede halten und habe über die Lösung meiner Ängste viel über mich selber gelernt, bin selbstbewusster und selbstsicherer auf eine sehr natürliche Art

Allerdings bestehen meine Ängste weiter, ich kann sie gut verdrängen, meide Situationen, wo sie auftreten könnten oder setze Alkohol ein, um Sie zu dämpfen.

Ich erkenne, in welchen Bereichen meines Lebens mich die Ängste in meiner Freiheit eingeschränkt haben. Ich empfinde mehr Lebensfreude, weil ich mich unabhängiger und freier fühle.

In bestimmten schwierigen Situationen bin ich auf Alkohol angewiesen, um einiger Maßen damit umgehen zu können.

Ich habe das grundlegende Gefühl, in schwierigen Situationen selbstregulierend agieren zu können.

Schon bei dem Gedanken an bestimmte Situationen ist mir unwohl. Insgesamt habe ich den Eindruck, vieles ist anstrengend. Der Stress wird immer mehr.

Ich habe keine Angst mehr vor unbekannten Situationen. Dinge, die früher für mich Stress bedeutet haben, stellen kein Problem mehr für mich dar. Das ist ein gutes Gefühl

 

Solange Ihre Angst vor dem öffentlichen Auftritt nicht gelöst ist, werden Sie auf Alkohol nicht leicht verzichten können. Und wenn Sie nur auf die Strategie „Verzicht auf Alkohol“ setzen, wird jede Rede zur Anstrengung. Manchmal verliert sich die Angst mit der Zeit von allein, wenn Sie auf Alkohol verzichten, manchmal wird sie leider noch schlimmer.

 

Wichtig ist die Frage nach dem tiefer liegenden Auslöser des süchtigen Verhaltens

Im Endeffekt beginnt die Lösung immer mit der Frage nach dem Auslöser der Sucht. Vielleicht kennen Sie Ihren Auslöser ja schon. Dann suchen Sie das Gespräch mit Fachleuten, um neue Wege zu finden, damit um zu gehen oder das grundlegende Problem zu lösen. Falls Sie dies schon gemacht haben und keine Besserung einsetzte, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ursache Ihrer Sucht noch wo anders oder tiefer liegt.

Als Beispiel hier nochmal das Thema Stress in der Arbeit: Sie haben erkannt, dass dieser Stress die Ursache für Ihre süchtigen Verhaltensweisen ist. Sie wissen auch, was Sie ändern müssten und wollen das auch. Irgendwie klappt es aber nicht. Oder Sie haben vielleicht einiges geändert, fühlen sich aber trotzdem nicht besser. Dann kann es sein, dass ein tiefsitzender Glaubenssatz unbewusst wirkt. So ein Glaubenssatz könnte lauten: „Nur wer viel arbeitet ist was Wert.“  Auch ein latentes Sinnlosigkeitsgefühl, das sich immer dann meldet, wenn man langsam zur Ruhe kommt, kann Ursache für süchtiges Verhalten sein.

 

Solange Sie nicht wissen, wie Sie mit all den unbekannten und unangenehmen Gefühlen umgehen können, ist Suchtmittelkonsum oder süchtiges Verhalten eine Möglichkeit, sich kurzfristig besser zu fühlen. Auf Dauer ist es wichtig, sich mutig mit den schwierigen Gefühlen wie Angst, Wut, Rachegelüste, niedriges Selbstwertgefühl, Sinnlosigkeit und Leere auseinander zu setzen. Sie lernen dabei sehr viel über sich selber und gewinnen Leichtigkeit und Lebensfreude. Dann können Sie auch auf Ihr süchtiges Verhalten verzichten, ohne dies als Anstrengung zu erleben.